Nichtmotorisierte Verkehrsteinehmer / Vulnerable Road User (VRU)
Derzeit sind weltweit etwa die Hälfte der im Straßenverkehr getöteten Personen sogenannte „Vulnerable Road User“ (VRU in der Bedeutung von ungeschützten Verkehrsteilnehmern). Dieser Begriff umschreibt diejenigen Verkehrsteilnehmer, die im Straßenverkehr ein besonderes Risiko tragen, verletzt oder getötet zu werden, da sie nicht von einer „schützenden Hülle“ wie beispielsweise eine Fahrerkabine umgeben sind. Zu der Gruppe der VRU’s gehören Fußgänger, Fahrradfahrer und Kraftradfahrer. Die Prävention von Unfällen mit wenig geschützten Verkehrsteilnehmern trägt nicht nur erheblich zur Erhöhung der Straßenverkehrssicherheit bei, sondern auch zur Verbesserung der öffentlichen Gesundheit.
Wie kann dieses Ziel erreicht werden? Die Antwort lautet: Durch verkehrspsychologische begleitete Gestaltungsmaßnahmen der Schnittstelle VRU-Fahrzeug-Verkehrsraum. So konnten verschiedene Studien einen erheblichen positiven Effekt auf die Zahl tödlicher Unfälle durch die Einführung von Tempo 30 Zonen feststellen. Das European Transport Safety Council empfiehlt daher die Einführung von Tempo 30 Zonen in allen innerstädtischen Bereichen, die häufig durch Fußgänger und Fahrradfahrer genutzt werden. Auch die Verkehrsraumgestaltung kann einen Einfluss auf die Geschwindigkeitswahl ausüben, etwa durch Straßenverengungen, Kreisverkehre oder auch bewusst gesetzten baulichen Hindernissen.
Da die meisten Kollisionen mit Vulnerable Road Users an der Vorderseite des betreffenden Autos stattfinden, kommt der Entwicklung sicherer Autofronten eine entscheidende Rolle zu. Auch intelligente in-board Systeme, wie beispielsweise Autonomuos Emergency Breaking (AEB) oder Intelligent Speed Assistance (ISA) können zur Reduktion von Unfällen mit Vulnerable Road Users beitragen. Allerdings wird der Effekt solcher Technologien erst dann merklich die Verkehrssicherheit beeinflussen, wenn genügend dieser neueren Fahrzeuge im Straßenverkehr unterwegs sind. Die Verkehrspsychologie hat bei solchen technischen und straßenbaulichen Maßnahmen immer den Verkehrsteilnehmer und den Nutzer von Systemen im Fokus. Durch Optimierung von Wahrnehmbarkeit und Nutzerakzeptanz wird der Effekt solcher Maßnahmen deutlich verbessert, manchmal sogar erst hergestellt.
Ein weiterer großer Maßnahmenbereich umfasst die Sichtbarkeit und die Verbesserung der Kommunikation zwischen Kraftfahrern und Fußgängern. Unfallursache für Fußgängerunfälle sind u.a. schlichtes Übersehen (Phänomen des „Schauens aber nicht Sehen“) oder auch mangelnde Wahrnehmbarkeit (z.B. wegen schwacher Umgebungsbeleuchtung) oder Fehlinterpretation der Verhaltensintentionen des Fußgängers. Umgekehrt lassen internationale Beobachtungen vermuten, dass sich die Benutzung von Mobiltelefonen und anderen mobilen Geräten durch zu Fuß Gehende und Zweirad Fahrende in vergleichbar hohen Größenordnungen bewegt wie bei Autofahrern. Unachtsames Betreten der Fahrbahn beim Überqueren von Fußgängerüberwegen, aufgrund von Ablenkungen durch Smartphones und Tabletts sind die Folge. Vor allem sehr junge und ältere VRU’s sind im Unfallgeschehen überrepräsentiert: So ist in Deutschland jeder zweite getötete Fußgänger und Radfahrer älter als 65 Jahre – bei einem Bevölkerungsanteil von lediglich 21%
Der Beitrag der Verkehrspsychologie kann darin bestehen, die fehlende oder fehlerhafte Kommunikation zwischen motorisierten Verkehrsteilnehmern und Fußgängern zu verbessern. In diesem Zusammenhang wird z.B. untersucht, ob eine an der Fahrzeugfront montierte Bremsleuchte, welche die Anhalteabsicht des Fahrers nach vorne kommuniziert, sinnvoll sein könnte. Oder ist vielleicht eine Flächenprojektion auf die Straße (z.B. virtueller Fußgängerüberweg mit Geschwindigkeitsanzeige des fahrenden Pkw) wirksamer, da hier gleichzeitig Fahrer und Fußgänger mit Informationen versorgt werden? Reduzieren kürzere Rotphasen und erweiterte Hinweise („Signal grün folgt in 30 Sekunden“) an den Fußgängerüberwegen unerwünschtes und riskantes Queren?
Es ist festzuhalten, dass der Verbesserung der Sicherheit von Vulnerable Road Users ein besonderes Augenmerk und hohe Priorität zufallen sollte. Die stetige Zunahme der Einwohnerzahlen in Ballungszentren lenken den Fokus auf die Vorteile der Fortbewegungsmethoden wie Gehen, Fahrrad- und Kraftradfahren über den Freizeitbereich hinaus, damit der Verkehrsstrom für die Städte und Kommunen bewältigt werden kann. Aktivitäten zur Förderungen dieser Mobilitätskonzepte erhöhen gleichzeitig auch die Risiken einer ungeschützten Verkehrsteilnahme. Spezifische Maßnahmen zur Verbesserung der Verkehrssicherheit erfordern ein interdisziplinäres Zusammenwirken von Verkehrs- und Fahrzeugtechnik, Ergonomie und Psychologie. Konzepte hierzu existieren, könnten aber noch wesentlich häufiger zur Anwendung kommen. Insbesondere bei deren Implementierung und zur Unterstützung der Wirksamkeit kann die Verkehrspsychologen einen wesentlichen Beitrag leisten.